Bedeutung für Corporate Identity: Unternehmenspersönlichkeit

Titelbild: Corporate Identity, Unternehmenspersönlichkeit und Public Relations

Der zentrale Bestandteil strategischer Public Relations Arbeit ist die einzigartige Persönlichkeit eines Unternehmens. Er hat nicht nur eine wichtige Bedeutung für die wahrgenommene Corporate Identity und das Image, sondern ist das wichtigste Kriterium für vorteilhafte Unternehmensbeziehungen.

Public Relations als Relationship Management

Dass es bei Public Relations um den Umgang mit Beziehungen geht, zeigt schon die deutsche Übersetzung des Ausdrucks: öffentliche Beziehungen. Bereits einer der ersten deutschsprachigen PR-Wissenschaftler, Carl Hundhausen, bezeichnet Public Relations als die „Beziehungslehre der Unternehmung“ (Hundhausen, 1951). Die amerikanische Public Relations Forschung hat mittlerweile die eigenständige Denkrichtung des Relationship Management (Ledingham, 2015) etabliert.

Wer ernsthafte PR-Arbeit betreibt, sollte demnach immer das umfassende Netzwerk von Beziehungen des eigenen Unternehmens in den Blick nehmen. Denn nur, wenn die Beziehungen zu allen relevanten Stakeholdergruppen stabil bleiben, kann ein Unternehmen auf lange Sicht die eigene Existenz sichern. Hier halten wir fest: Zielgröße aller Public Relations Maßnahmen sind nicht etwa besonders viele Veröffentlichungen von Pressemitteilungen, hohe Reichweiten in Social Media oder tolles Corporate Design – es geht am Ende immer darum, das Beziehungsnetz des Unternehmens zum eigenen Vorteil zu stabilisieren.

Soziologische Grundlage: Wie bilden sich Beziehungen?

Ausgangspunkt eines jeden strategischen Managements von Unternehmensbeziehungen ist zunächst ein grundlegendes Verständnis von Beziehungen. Ein umfassendes Werk zu den sozialen und psychischen Prozessen, die allen Formen von Beziehungen zugrunde liegen, hat bereits 1933 der Soziologe Leopold von Wiese veröffentlicht. Einfach ausgedrückt sieht er Beziehungen als Verbindungen zwischen zwei (oder mehreren) sozialen Identitäten (vgl. von Wiese, 1933). Identitäten müssen nicht zwangsweise Einzelpersonen sein, auch Organisationen oder Unternehmen können eine eigene soziale Identität besitzen (vgl. dazu: White 1992). Zur besseren Verständlichkeit beschreibe ich hier kurz den simpelsten Beziehungsprozess zwischen Einzelpersonen:

Wie funktionieren Beziehungen?
Gegeben sind Person 1 und Person 2, die zueinander in Beziehung stehen. Beide haben eines gemeinsam: Ihre Psyche, also ihre inneren Gedanken und Gefühle, sind für den anderen Part niemals einsehbar. Daher können sie die Welt nie ganz genauso sehen, wie der je andere (vgl. Glasersfeld, 1997). Um aber dennoch eine Möglichkeit zu finden, das Verhalten des je anderen einigermaßen sicher vorauszusagen, bilden sie Vorstellungsbilder ihres Interaktionspartners – hier könnte man neudeutsch auch von Images (vgl. Merten, 1992) sprechen. Dazu beobachten sie dessen Verhalten innerhalb der bestehenden Beziehung. Ausgehend davon bilden sie Erwartungen daran, wie sich die andere Person in Zukunft verhalten könnte.

Das Ganze geschieht zeitgleich bei beiden Beziehungspartnern. Der logische Schluss: beide richten ihr Verhalten zueinander daran aus, was für ein Verhalten sie vom je anderen erwarten. Die dabei einbezogenen Erwartungen entstehen aber erst aus dem schon getätigten Verhalten innerhalb der Beziehung. Das heißt: die Beziehung kann weder von Person 1 noch von Person 2 direkt beeinflusst werden. Beide handeln lediglich auf Basis des Vorstellungsbildes, das sie vom je anderen sowie der gemeinsamen Beziehung gebildet haben. Beziehungen sind damit als eigene Systeme zu betrachten (vgl. Schmidt, 2007), die zwar abhängig von beiden beteiligten Partnern sind, aber niemals einseitig gesteuert werden können, wie es viele betriebswirtschaftliche Konzepte oftmals behaupten.

Diagramm: Darstellung einer sozialen Beziehung. Zusammenspiel von Persönlichkeit und Identität
Darstellung 1: Die grundlegenden Prozesse sozialer Beziehungen (Banse, 2020)

Zusammengefasst lässt sich bis hier festhalten: Beziehungen bestehen aus drei grundlegenden Elementen:

  1. Das Vorstellungsbild, das sich Person 1 von Person 2 bzw. der gemeinsamen Beziehung gebildet hat,
  2. das Vorstellungsbild, das sich Person 2 von Person 1 bzw. der gemeinsamen Beziehung gebildet hat sowie
  3. dem daraus resultierenden, wechselseitigen Verhalten der beiden Beziehungspartner zueinander.

Unternehmen als handelnde Akteure: Wie Corporate Identity und Unternehmenspersönlichkeit aus Vorstellungsbildern entstehen

Dazu ergänzen wir die zweite Grundannahme, dass Unternehmen wie handelnde Personen wahrgenommen werden können. Hundhausen sagte schon 1951 dazu:

„Unternehmungen sind Lebewesen, Persönlichkeiten, Bürger! Gute oder schlechte!“

Carl Hundhausen, 1951, S.34

Die Erklärung zu dieser Annahme ist komplex und würde den Umfang dieses Beitrags sprengen. Wer sich dafür interessiert, findet dazu auf pr:sonality aber in Kürze einen eigenen Artikel. Für den Moment reicht es, diese Hypothese als gegeben anzunehmen. Als eigenständige soziale Identitäten können Unternehmen demnach wie Einzelpersonen in ihrem Verhalten beobachtet werden. Ausgehend von den Beobachtungen bilden die beobachtenden Menschen ihre Vorstellungsbilder/Images vom Unternehmen.

Beispiel
Ich kann als Einzelperson das Verhalten des Unternehmens Apple beobachten. Das geschieht ganz automatisch. Unter anderem, wenn ich in der Zeitung lese „Apple kauft Unternehmen XY auf“. Schon die Formulierung legt hier nahe, dass es Apple ist, das die Handlung ausführt. Genauso kann ich mich aber auch daran orientieren, wie freundlich/kompetent/vorlaut/etc. die Verkäufer im Apple-Store zu mir sind. Oder daran, was für Aussagen auf Apples Social Media Accounts erscheinen. Es sind zwar einzelne Angestellte, die im Store arbeiten, die die Social Media Posts erarbeiten, die Transaktionsentscheidungen treffen, etc. – solange sie dies aber im Namen des Unternehmens tun, wird ihr Verhalten in unseren Köpfen dem Image von Apple zugeordnet.

Hier liegt auch der größte Unterschied zwischen Einzelbeziehungen und Unternehmensbeziehungen. Bei Unternehmen gibt es eine Vielzahl möglicher Interaktionspunkte, an denen ganz unterschiedliche Menschen als Repräsentanten des Unternehmens beteiligt sind. Obwohl man also strenggenommen mit verschiedensten Personen in Austausch steht, rechnet man deren unterschiedliche Verhaltensweisen trotzdem dem Gesamtunternehmen zu. Durch das dabei entstehende „Image“ des Unternehmens, wirkt es so, als handele das Unternehmen eigenständig. Das gibt ihm in den Augen aller Beobachter eine Art eigene Identität – oder auf englisch die Corporate Identity. Sie ermöglicht es, dass Handlungen einzelner Repräsentanten dem Unternehmen zugerechnet werden.

Für die Beziehungen von Unternehmen heißt das: Einzelmenschen können mit Unternehmen und Organisationen in Beziehung stehen – genau wie mit anderen Einzelmenschen. Sie beobachten das Verhalten der Unternehmensrepräsentanten, rechnen es innerhalb ihres individuellen Images dem Unternehmen zu, bilden daraus Erwartungen, wie sich das Unternehmen (Repräsentant*innen des Unternehmens) in Zukunft verhalten und passen schließlich ihr eigenes Verhalten diesen Erwartungen an.

Stakeholder richten eigenes Verhalten also an ihren Erwartungen an das künftige Verhalten des Unternehmens aus. Will man das Verhalten bestimmter Stakeholdergruppen beeinflussen, ist die zentrale Stellschraube demnach das kumulierte Unternehmensverhalten dieser Gruppe gegenüber. Hier wird ein weiteres sozialwissenschaftlicher Konstrukt sehr relevant: die Unternehmenspersönlichkeit.

Unternehmenspersönlichkeit: Zentrale Bedeutung für Corporate Identity und Public Relations

Persönlichkeit meint die Summe des einzigartigen, wirklich getätigten Verhaltens des Unternehmens im Umgang mit allen anderen Personen, Unternehmen und Organisationen. Es ist die Art und Weise, wie das Unternehmen auf Reize aus der Umwelt reagiert. Denn das tut jedes Unternehmen ganz anders, als es andere Unternehmen tun. So entsteht Persönlichkeit, die wiederum von allen Menschen wahrgenommen wird, die mit dem Unternehmen in Beziehung stehen.

Grundvoraussetzung dafür ist immer, dass die Personen, die mit dem Unternehmen in Kontakt stehen, das Verhalten von Unternehmensrepräsentant*innen ihrem Vorstellungsbild vom Unternehmen zuordnen. Das Unternehmen gewinnt in ihren Köpfen so die Handlungsfähigkeit und Adressierbarkeit einer eigenständigen Person. Da sich kein Unternehmen exakt verhält wie ein anderes, ergibt sich aus dem einzigartigen Verhalten die Vorstellung einer individuellen Unternehmenspersönlichkeit. Persönlichkeit ermöglicht Unternehmen so, 1) als eigenständige, handlungsfähige Akteure wahrgenommen zu werden und 2) als solche eine spezifische Identität aufzuweisen, die sie von anderen – auch ähnlichen – Unternehmen abhebt (vgl. Szyszka, 2020).

Grafik: Bildung von Image und Corporate Identity über Beobachtung und soziale Erfahrungen. Public Relations.
Über alle Einzelwahrnehmungen und Erfahrungen, die dem Unternehmen zugeordnet werden, bildet sich die Vorstellung von dessen Identität (Image).

Über diese wahrgenommene Persönlichkeit bilden sich Einstellungen, Vorurteile und Images über das Unternehmen. Die Persönlichkeit ist also das Konstrukt, das bestimmt, wie ein Unternehmen innerhalb seiner Beziehungen gesehen und bewertet wird. Sie ist somit der zentrale Grundbaustein für den Umgang mit Organisationsbeziehungen bzw. Public Relations.

Einige Lesende werden sich an dieser Stelle fragen, wie sich diese Unternehmenspersönlichkeit vom etablierten Konzept der Corporate Identity (vgl. Birkigt et al. 2002) unterscheidet. Das lässt sich einfach beantworten: das klassisch-betriebswirtschaftliche Verständnis von Unternehmensidentität ist zu wenig komplex (mehr dazu hier). Es kann daher der komplizierten und dynamischen sozialen Realität nicht gerecht werden. Denn es beruht auf der Grundannahme, dass sich über rationale Entscheidungen die wahrgenommene Identität des Unternehmens gezielt steuern ließe.

Hier muss ich Anhänger*innen dieser Idee leider enttäuschen: Das wird in der Realität niemals möglich sein. Zwar lässt sich über gezieltes Corporate Design, Corporate Behaviour, etc. eine Wahrnehmungsänderung bei Stakeholdern erzielen. Da Beziehungen aber immer wechselseitig Verlaufen und auf schon gemachten Interaktionen und Erfahrungen in der Vergangenheit beruhen, lässt sich niemals eine gewünschte Wirkung vorhersagen. Ist die Schlussfolgerung daraus, dass es keinen Sinne ergibt, Corporate Identity strategisch zu formen?


Ansätze für den Umgang mit Unternehmenspersönlichkeit in der Publicity Relations Arbeit und bei der praktischen Gestaltung von Corporate Identity

Das ist zum Glück nicht der Fall. Verändertes Verhalten des Unternehmens führt über die Zeit so gut wie immer auch zu einer Veränderten Wahrnehmung bei den Stakeholdern. Nur: Es lässt sich nie genau voraussagen zu welcher Wahrnehmungsveränderung sie führt. Um effektive Public Relations Maßnahmen umzusetzen, muss an zwei Stellen radikal umgedacht werden:

  1. Unternehmensverantwortliche müssen unbedingt verstehen, dass die Bewertung ihres Unternehmens aus Verhaltenswahrnehmungen resultiert. Und Verhalten ist hier umfassend gemeint: jegliche Tätigkeit, Handlung, Kommunikation, die ein*e Unternehmensrepräsentant*in gegenüber Stakeholdern des Unternehmens tätigt. Das führt unweigerlich zu einer Neubewertung der Public Relations Arbeit in der Unternehmenshierarchie. Denn Public Relations Management ist Aufgabe der Geschäftsführung. Hier muss eine umfassende Strategie festgelegt und kontinuierlich evaluiert und angepasst werden. PR ist nicht reine Kommunikations- oder gar ausschließlich Pressearbeit. Sie ist eine wichtige Managementfunktion, die das Verhalten der Mitarbeitenden in allen Unternehmensabteilungen maßgeblich bestimmt. Das fordern PR-Forscher übrigens schon seit den 50er Jahren (vgl. Hundhausen, 1951).

2. Unternehmenspersönlichkeit ist kein starres Konstrukt. In jeder Beziehung des Unternehmens bewerten die beteiligten Stakeholder andere Aspekte des Unternehmens als relevant. Für Aktionär*innen sind finanzielle Ergebnisse vermutlich wichtiger als für die Kommune, in der das Unternehmen seinen Standort hat. Für jeden einzelnen Stakeholder hat das Unternehmen daher eine andere Persönlichkeit. Es entstehen daraus ganz unterschiedliche Images, Erwartungen, Einstellungen und Bewertungen. Im  Laufe der Beziehung verändern sich diese außerdem dynamisch. Ein starres Festhalten an einer einmalig vordefinierten Corporate Identity hat daher wenig Sinn.

Eine kontinuierliche Analyse folgender Punkte ist für die praktische Arbeit mit Public Relations und Corporate Identity sinnvoll:

  • Welche Stakeholder sind für die Existenz des Unternehmens elementar?
  • Welche Kontaktpunkte und Kontaktpersonen (Repräsentant*innen) hat das Unternehmen mit diesen Stakeholdergruppen?
  • Wie verhalten sich diese Stakeholder gegenüber dem Unternehmen?
  • Wie verhält sich das Unternehmen gegenüber diesen Stakeholdergruppen?
  • Auf welchen Vorstellungsbildern und Erwartungen beruhen die Verhaltensweisen auf beiden Seiten?

Gerade eine systematische Untersuchung von Punkt 2 erfordert einen erheblichen Aufwand. Hier können verschiedenste Methoden der Marktforschung sowie der empirischen Sozialwissenschaft angewandt werden. Das eigene Beziehungsnetzwerk zu analysieren und strategisch zu bearbeiten sollte aber immer so umfassend wie möglich vorbereitet werden. Die Beziehungsqualität Ihres Unternehmens wird davon profitieren – sowohl durch höhere Vertrauens- und Reputationswerte (Wiedmann, 2012) als auch durch höhere Kooperationsbereitschaft (Elfenbein & Zenger, 2014) und Rückhalt in Krisenzeiten (Szyszka, 2017).

Weiterführende Quellen:
Birkigt, K., Stadler M. & Funck, H. J. (2002). Corporate Identity. Grundlagen, Funktionen,Fallbeispiele. 11., überarb. u. aktual. Aufl. München
Elfenbein, D. & Zenger, T. (2014). What is a Relationship Worth? Repeated Exchange and the Development and Deployment of Relational Capital. Organization Science 25(1), 222-244
Glasersfeld, E. von (1997). Radikaler Konstruktivismus. Ideen, Ergebnisse, Probleme. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Hundhausen, C. (1951). Werbung um öffentliches Vertrauen. Public Relations. Essen: Giradet.
Ledingham, J. A. (2015). Managing Relationship Management: A Holistic Approach. In E. Ki, J. Kim & J. A. Ledingham (Hrsg.), Public Relations as Relationship
Merten, K. (1992). Begriff und Funktion von Public Relations. PR-Magazin 23(11), 35-46.
Schmidt, J. F. K. (2007). Beziehung als systemtheoretischer Begriff. Soziale Systeme, 13(1+2), 516–527.

Szyszka, P. (2017). Beziehungskapital. Wertschöpfung und Akzeptanz. Stuttgart: Kohlhammer.
Szyszka, P. (2020). Verantwortung als Organisationsprinzip? Eine theoretische Vermessung. Medien Journal 44 (3). 4-29.

Wiedmann, K.-P. (2012). Ansatzpunkte zur Messung der Unternehmensreputation als Grundlage einer Erfolg versprechenden Reputationsmanagementplanung – Das RepTrak-Konzept als Ausgangspunkt und Skizzen zur relevanten Weiterentwicklung. In R. Kreutzer & C. Wüst (Hrsg.), Corporate Reputation Management. Wirksame Strategien für den Unternehmenserfolg (S. 57-101). Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Wiese, L. von. (1933). System der Allgemeinen Soziologie: als Lehre von den sozialen Prozessen und den sozialen Gebilden der Menschen (Beziehungslehre) (2. erw. u. überarb. Auflage). München: Duncker & Humblot.


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